Wie kann Yoga im Heute wurzeln, ohne seine Tiefe zu verlieren?
Gedanken zum European & World Yoga Congress in Bad Meinberg (2025)
Im April diesen Jahres war ich beim European & World Yoga Congress in Bad Meinberg – einem Treffen von Lehrer:innen, Praktizierenden und Suchenden aus vielen Ländern.
Und ja – ich schreibe erst jetzt darüber.
Manche Eindrücke brauchen einfach ein bisschen Zeit, um sich zu setzen.
Zwischen alten Schriften und neuen Gedanken, zwischen Philosophie, Praxis und Begegnung entstand ein Austausch, der mich auf stille Weise berührt und zum Nachdenken gebracht hat.
Es ging um Techniken und um Bewusstsein, um Werte, um innere Arbeit – und um die Frage, wie wir in einer lauten, schnellen Welt wieder Verbundenheit spüren können.
- Was bedeutet Yoga heute – für Menschen, die ihn vielleicht neu entdecken, jenseits von Herkunft und Tradition?
- Wie kann diese Praxis Sinn machen, ohne ihre Tiefe zu verlieren?
- Und: Was bleibt vom Yoga, wenn man ihn aus seiner jahrtausendealten Tradition in unser heutiges Leben holt?
Dieser Text ist mein persönlicher Nachklang.
Ein Versuch, das Spannungsfeld von Tradition und Moderne nicht zu lösen (nicht als Gegensätze zu sehen), sondern als zwei Kräfte zu erkennen, die sich gegenseitig nähren – verbunden wie Ein- und Ausatmung.
Ankommen
Im großen Sivananda-Saal sitzen Menschen aus vielen Ländern.
Es ist still – eine gespannte Ruhe, kein Spektakel.
Ein Redner spricht über die roots of yoga, über die Notwendigkeit, im Kern verwurzelt zu bleiben.
Draußen rauscht der Wind durch die Bäume.
Drinnen stellt sich eine Frage, die an diesem Wochenende immer wieder auftaucht:
Was ist der Kern von Yoga?
Und: Wie kann diese jahrtausendealte Praxis in unserer modernen Welt lebendig bleiben, ohne sich zu verlieren?
Die Vorträge und Begegnungen kreisen um die Spannung zwischen Tradition und Moderne.
Wir diskutieren über die Yoga Sutras, die Bhagavad Gita, über Prana, Vedanta und die Upanishaden – Selbst-Erinnerung und Awareness.
… und gleichzeitig über Themen wie Bewusstsein, Glück, emotionale Entwicklung, Gesundheit, Kommunikation und innere Arbeit.
In vielen Vorträgen und Begegnungen schwang die Frage mit: Wie können wir das Alte ehren – und gleichzeitig das Neue leben?
Manche Redner erinnerten daran, dass Yoga kein Weg der Flucht ist, sondern der Rückverbindung – „reconnection“.
Andere betonten: „conscience is key“ – das Bewusstsein, das uns befähigt, mitfühlend und klar zugleich zu sein.
Zwischen all den Begriffen und Konzepten war spürbar: Tradition ist kein starres Erbe. Sie ist eine lebendige Quelle, die uns nährt, wenn wir sie im Heute verkörpern.
Yoga ist kein Gegensatz zur Welt, sondern eine Einladung, bewusster in ihr zu stehen. Yoga verändert sich mit den Menschen, die es üben.
Viele Menschen kommen heute zum Yoga, weil sie Ruhe suchen oder körperliche Balance.
Und das ist gut.
Aber die Wurzeln dieser Praxis gehen tiefer.
Yoga fragt nach dem Warum unseres Lebens.
Nach dem, was uns wirklich führt – jenseits von Leistung, Rollen und Erwartungen.
Die alten Schriften sprechen von Selbsterkenntnis, von Prana – der Lebensenergie –
und von der Kunst, nicht nur den Körper, sondern auch Geist und Herz in Einklang zu bringen.
Diese Lehren sind nicht altmodisch.
Sie sind zeitlos – wenn wir sie übersetzen.
Tradition gibt Tiefe.
Moderne braucht Übersetzung.
Beides gehört zusammen, wenn Yoga im Heute Sinn machen soll.
Einladung – kleine Praxis
Setze dich einen Moment still hin.
Fühle, wie der Atem von selbst geschieht – ohne dein Zutun, und doch durch dich.
Vielleicht merkst du, dass du schon die ganze Zeit geatmet hast, ohne es bewusst wahrzunehmen?
Spüre, wie Teile deines Körpers den Boden berühren – ganz real, hier und jetzt.
Nimm deinen Atem wahr, ohne ihn zu verändern.
Frage dich leise:
Wo bin ich gerade – mit meinem Körper, meinem Kopf, meinem Herzen?
Bleibe mit dieser Frage.
Nicht, um sie zu beantworten, sondern um anwesend zu sein.
Das ist alles.
Wenn die Gedanken ihren Fokus verlieren: Sage dir einatmend in Gedanken „ich atme ein“ und ausatmend „ich bin präsent“…
Bleibe etwa 2 Minuten…
Manchmal beginnt Veränderung genau dort, wo Atem und Alltag sich berühren.
Nachklang – Was nehme ich mit?
Wenn ich an den Kongress in Bad Meinberg zurückdenke, sehe ich kein Event mit Programmpunkten, sondern ein Feld von Begegnungen. Menschen, die suchten – nach Sinn, nach Tiefe, nach Verbindung.
Es wurde viel gesprochen über Schriften, Philosophie, Energie. Und doch blieb für mich (als Yoga-Lehrende) vor allem ein Gefühl: Yoga ist kein System, das man beherrschen muss.
Yoga lebt dort, wo Wissen in Erfahrung übergeht.
Wo Lehre zu Haltung wird.
Wo Tradition nicht zitiert, sondern verkörpert wird.
Vielleicht ist das der Kern von Yoga – nicht ein festes Wissen, sondern eine immer wieder neue Erinnerung an das, was uns menschlich macht.
Fazit:
Im Gehen über das Gelände, im Klang der Mantras, im Schweigen zwischen zwei Sätzen war spürbar:
Yoga ist lebendig, wenn wir es sind.
Vielleicht liegt darin die Verbindung von Tradition und Moderne:
im Mut, Altbewährtes nicht nur zu bewahren, sondern lebendig werden zu lassen – in unserer Sprache, in unserem Handeln, im ganz normalen Alltag.
Zwischen Tradition und Moderne entsteht Yoga immer wieder neu – als lebendige Verbindung.
… als Beziehung zwischen Tiefe und Wandel, zwischen Stille und Bewegung, zwischen dem, was war, und dem, was werden darf.
