Der Vagusnerv: Dein eingebautes Beruhigungssystem

Wenn alles zu viel wird

Ein voller Tag. Der Kopf schwirrt. Der Körper ist müde.

Du atmest ein.
Du atmest aus.
Du atmest langsam…, tiefer…, länger…

… Und plötzlich verändert sich etwas.
Du wirst ruhiger. Der Stress lässt ein wenig nach.

Was da passiert, ist nicht Magie – sondern ein komplexes Zusammenspiel deines Nervensystems.
Mitbeteiligt: der Vagusnerv – einer der wichtigsten Nerven, wenn es um Ruhe, Erholung und innere Regulation geht 😊


Ein stiller Held in deinem Körper – oder: Was ist der Vagusnerv?

Der Vagusnerv (lat. „der Umherschweifende“) ist der längste Hirnnerv und ein zentraler Bestandteil des parasympathischen Nervensystems.

Merke dir: Nerven funktionieren wie Leitungssysteme: Sie leiten elektrische Signale vom Körper ans Gehirn und umgekehrt.

Der Vagusnerv verbindet das Gehirn mit vielen wichtigen Organen – darunter Herz, Lunge, Magen und Darm – und überträgt Informationen in beide Richtungen.

Er ist daran beteiligt, dein autonomes Nervensystem zu beeinflussen – insbesondere in der Übergangsphase vom Aktivitäts- oder Alarmmodus hin zur Regeneration.
Anders gesagt: Der Vagusnerv ist Teil der biologischen Prozesse, die deinen Körper in einen Zustand von Ruhe und Erholung versetzen – zum Beispiel nach Stress oder Anspannung.
Oder: Wenn dein Nervensystem registriert, dass gerade keine Gefahr droht, sendet der Vagusnerv Signale, die Entspannung und Regeneration ermöglichen.

Bestimmte äußere Reize – etwa langsames Ausatmen, Summen oder sanfte Berührung – verändern die Aktivität entlang des Vagusnervs. Wenn dein Körper diese Reize als „sicher“ einstuft, können folgende Reaktionen ausgelöst werden:

  • dein Puls sinkt,
  • deine Atmung wird ruhiger,
  • Verdauung, Schlaf und Heilung werden gefördert.

Also: Über die Signalübertragung des Vagusnervs kann dein Nervensystem auf Sicherheitssignale reagieren – und so einen Zustand innerer Ruhe ermöglichen.
Nicht weil der Nerv das „will“ oder „bewirkt“, sondern weil dein gesamtes System darauf vorbereitet ist, sich zu regulieren – wenn die Bedingungen stimmen.


Zur Ruhe finden in einer Welt, die laut ist – und: warum das heute wichtiger ist denn je

Viele Menschen stecken im Dauer-An-Modus: Termine, To-Do-Listen, Reizüberflutung. Du auch?
Der Körper funktioniert irgendwie weiter – aber innerlich läuft alles auf Hochtouren: Gedanken kreisen, der Atem ist flach, Anspannung bleibt spürbar.

In solchen Zuständen ist das sympathische Nervensystem aktiv – also der Teil des autonomen Nervensystems, der auf Leistung, Aufmerksamkeit und Reaktion ausgerichtet ist. Das ist kurzfristig sinnvoll, etwa bei Herausforderungen oder Gefahren.
Wird dieser Zustand jedoch zur Gewohnheit, gerät das System aus dem Gleichgewicht. Die Fähigkeit zur Regeneration nimmt ab, ebenso das Empfinden von innerer Sicherheit.
DAS. IST. DRAMATISCH! …

Und genau hier wird der Vagusnerv relevant:
Er leitet – als Teil des parasympathischen Systems – Signale ans Gehirn (und bestimmte Organe), die dem Körper helfen, sich zu beruhigen.
Wenn Reize wie langsames Atmen, Summen oder Berührung vom Nervensystem als „nicht bedrohlich“ bewertet werden, kann der Vagusnerv Prozesse fördern, die mit Ruhe und Erholung verbunden sind.

Versteh mich richtig: Ein gut regulierter Vagusnerv bedeutet (leider) nicht, dass du nie mehr gestresst bist.
Aber er ermöglicht dir, nach stressreichen Phasen (schneller) wieder in einen Zustand von Ruhe und Sicherheit zurückzukehren.


Drei einfache Übungen für den Alltag

Du brauchst keine komplizierten Routinen oder viel Zeit!
Schon kleine Impulse können den Vagusnerv aktivieren: Ein Atemzug. Ein Summen. Eine bewusste Pause. Kleinigkeiten reichen oft aus.

1. Verlängertes Ausatmen

Setz dich bequem hin. Atme 4 Sekunden durch die Nase ein – und dann 6 bis 8 Sekunden durch den Mund aus.
Bleibe für 3-5 Minuten bei diesem sanften Fokus. Das lange Ausatmen beruhigt dein Nervensystem (sofort) spürbar – oder?

2. Summen oder Tönen

Summen erzeugt Vibrationen, die deinen Vagusnerv stimulieren (können). Denn: Er verläuft nahe deiner Stimmbänder und reagiert auf Vibrationen.
-> Probier’s aus! Summe z. B. ein einfaches „Mmm“ oder „Om“ für ein paar Atemzüge. Schon nach kurzer Zeit wirst du merken, wie sich dein Körper entspannt und dein Geist gleich mit zur Ruhe kommt. Diese sanfte Schwingung im Körper (wo spürst du sie?) aktiviert dein inneres Beruhigungssystem – ohne viel Bewegung, ganz ohne Worte.

3. Nacken- und Kiefermassage

Massiere sanft den Bereich hinter den Ohren, den Übergang von Kopf zu Hals oder den Nacken.
Diese Regionen stehen in Verbindung mit dem Vagusnerv und reagieren gut auf sanfte Berührung.


Ein kritischer Blick: Kann man den Vagusnerv wirklich so einfach selbst regulieren?

Aktiviere deinen Vagusnerv und entspanne sofort.“ Klingt gut – aber funktioniert das wirklich?

Ja und Nein.
Die Forschung zeigt: Bestimmte Reize wie langsames Ausatmen, Summen oder Kältereize können die Aktivität des Vagusnervs beeinflussen.
Die sogenannte Vagusnerv-Stimulation (VNS – dabei wird der Vagusnerv elektrisch stimuliert) kommt tatsächlich sogar in der Medizin zum Einsatz – etwa bei Epilepsie oder Depressionen.

Im Alltag gilt:
Du kannst deinen Vagusnerv nicht direkt „steuern“ wie einen Lichtschalter. Was du tun kannst, ist: deinem Nervensystem gezielt Signale senden, die es in Richtung Entspannung lenken. Dazu zählen unter anderem:\n\n- langsames, verlängertes Ausatmen

  • summende oder tönende Laute
  • sanfte Berührungen im Nackenbereich
  • kaltes Wasser im Gesicht

Diese Impulse wirken nicht bei jedem gleich stark – und nicht immer sofort. Aber sie schaffen günstige Bedingungen:
Dein Nervensystem bekommt die Botschaft „Du bist sicher“. Und darauf kann dein Körper mit Entspannung reagieren.


Fazit: Kleine Signale mit großer Wirkung

Yoga und Achtsamkeit sind keine Allheilmittel.
Aber sie geben dir Tools an die Hand, um dein Nervensystem im Alltag zu unterstützen – mit einfachen Mitteln, die du in deinem Alltag gezielt einsetzen kannst.

Wenn du mit deinem Körper arbeitest – etwa über Atem, Bewegung oder Berührung – und deinem Nervensystem regelmäßig Signale der Sicherheit gibst, trainierst du kein System „auf Knopfdruck“, sondern du stärkst nach und nach deine Fähigkeit zur Selbstregulation – also deine innere Kompetenz, mit Stress, Reizüberflutung oder Überforderung besser umzugehen.

WICHTIG: Du musst nicht erst im Yoga-Studio ankommen, um dich zu regulieren. Wenn du die oben genannten Übungen regelmäßig in deinen Alltag integrierst, stärkst du dein inneres Gleichgewicht – ganz ohne Druck, aber mit spürbarem Effekt.

Vielleicht beginnt dein nächster bewusster Moment genau jetzt – mit einem Atemzug, der nicht funktionieren will, sondern einfach nur da ist?
Nicht, indem du etwas leistest – sondern indem du wahrnimmst.
Inne hältst.
Und lernst, zu reagieren – wenn dein System dich ruft.

Vielleicht beginnt deine nächste Yogapraxis nicht mit der ersten Asana, sondern mit dem einfachen Entschluss, dich selbst nicht mehr zu übergehen…

Still. Klar. Echt.